WERK : FLORES (2003)
Ensemble musikFabrik
Stimmen: Amelia Cuni, Maria de Alvear
Aufnahme: Deutschlandfunk (2003).
Zu Flores von Maria de Alvear
Wunderbare Blüten – Flores – treibt die Natur in einem paradiesischen Garten aus tausendundeiner Nacht. Der Garten ist Ort merkwürdiger Begegnungen: eine Walkuh begegnet einer Alge, eine Häsin einer Mohnblume, eine Bärin begegnet einer Linde, eine Stute einem Ölbaum. Immer trifft ein weibliches Tier eine (ideell zumindest) weibliche Pflanze, und trotz der scheinbaren Unvereinbarkeit ihrer Daseinsformen sind die Dialoge, die sie führen, Zeugnisse eines tiefreichenden Einvernehmens. Dieses Einvernehmen gründet im Wissen um die gemeinsame Teilhabe am gleichen Universum und seiner Werte: Kraft, Sanftheit, Leidenschaft, Schönheit, Güte und Liebe.In Maria de Alvears Liederzyklus werden wir Zeuge elf solcher Begegnungen, die gerahmt werden von einem Prolog und einem Abgesang. Der Zyklus folgt in seinem Verlauf dem Wandel der Jahreszeiten: er beginnt und endet im Herbst. Jedem Teil liegt ein eigener Modus zugrunde, eine eigene Tonskala, und diese Skalen winden sich in dreizehn Etappen entlang dem Quintenzirkel. Auch formalharmonisch schließt sich am Ende also der Kreis. Die dem Stil alt-orientalischer Lyrik frei nachempfundenen Gedichte korrespondieren mit der Klanggestalt der Musik und ihrer reichen rhythmischen wie melodischen Ornamentik. Beide steuern einen im Wortsinne traumhaften Ort an, der nur in unserer Fantasie zu lokalisieren ist.
Daneben geht es in Flores, wie in jedem Werk Maria de Alvears, auch um das Ideal innerer Freiheit. Diese wird nicht nur eingefordert, sondern hat sich in der Gestalt des Werks selbst bereits niedergeschlagen. Geschrieben in einer für de Alvear typischen Mischung aus Komposition und notierter Improvisation, lässt der Notentext den sieben Instrumentalisten einigen Spielraum hinsichtlich der Ausarbeitung des Rhythmus’ und zuweilen auch der Intonation. Für die Partien der beiden Sängerinnen gibt die Partitur so gut wie keine Direktiven: Was und wie in der Aufführung gesungen wird, ergibt sich größtenteils erst bei den Proben. Nicht einmal die Zuordnung der Rollen (Blume oder Tier?) ist vorab festgelegt und kann im Verlauf des Zyklus durchaus wechseln. Determiniert sind allein der genaue Wortlaut des Textes und das grobe Timing im Wechsel der Stimmen, die die Dialogform erfordern. Festgelegt sind ferner die jeweiligen Modi der einzelnen Teile und – zumindest bei der Uraufführung, die in der vorliegenden Aufnahme dokumentiert ist – die Gesangsstilistik: Amelia Cuni orientiert sich an klassischen indischen Dhrupad-Ragas, Maria de Alvear synthetisiert Elemente spanischer und arabischer Vokaltraditionen.
(Raoul Mörchen)